Über die Einstellung und Grundhaltung eines Therapeuten

Buch Oliver Jung Kunsttherapeut: Schubladendenken und der Personzentrierte Ansatz

Von Oliver Jung Oktober 2020

 

Für eine gute Therapeuten / Klienten - Beziehung  ist die Grundhaltung des Therapeuten von entscheidender Bedeutung. Er soll keine Versuche unternehmen bezüglich einer Interpretation oder Überredung zu einem bestimmten Verhalten beim Klienten. Das ist vielleicht, um es schon vorwegzunehmen, die wichtigste Haltung die ein Therapeut leben sollte. (Mit Therapeut und Klient sind immer beide Geschlechter gemeint)

Diese Grundhaltung kommt aus dem Personzentrierte Ansatz (PZA), der auf den amerikanischen Psychologen Carl Rogers (1902–1987) zurückgeht.

Der Ansatz lässt sich am besten beschreiben als eine Einstellung, eine Haltung und Seinsweise. Eine wichtige Voraussetzung für dieses Vorgehen ist nicht eine bestimmte Theorie, sondern die Art und Weise mit anderen Menschen umzugehen, die für diese förderlich ist. Es soll so eine Atmosphäre von Wärme, Einfühlung und Verständnis geschaffen werden, die das Gegenüber in die Lage versetzt, durch langsam gewinnende Einsicht in sein Fühlen und Tun seine eigenen Möglichkeiten zur Lösung seiner Probleme zu aktivieren.

Dies gelingt, wenn der Therapeut die „Expertenattitüde“ ablegt und versucht die Sichtweise des Gegenübers genau zu verstehen. Ein Therapeut sollte seinem Klienten gegenüber nie urteilend und steuernd begegnen! So wird große Bedeutung der persönlichen Entwicklung des Gegenübers beigemessen, was zur Minderung oder Auflösung der inneren Themen oder Probleme führt. 

Dabei soll der Berater dem Gegenüber bedingungslose Beachtung zukommenlassen und sich auf dessen subjektive Erlebniswelt einlassen. Die zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Therapeut und Klient ist demnach von großer Bedeutung.

Im Grund gibt es es sechs notwendige und hinreichende Bedingungen für eine konstruktive Entwicklung der Persönlichkeit in einer Therapie.

1. Zwei Personen befinden sich in Beziehung zueinander. Es muss zumindest ein Minimum an Beziehung vorhanden sein, damit eine positive Persönlichkeitsentwicklung zu Stande kommt.

2. Der Klient befindet sich in einem Zustand der Inkongruenz. Er ist mit sich selbst „uneins“. Er erlebt etwas, das er nicht erleben möchte.

3. Der Therapeut ist im Rahmen dieser Beziehung eine kongruente‚ authentische Person. Er stellt die Emotionen, die ihn momentan beschäftigen, offen und ehrlich dar. Der Therapeut tritt ohne professionelle „Fassade“ oder „Maske“ auf. Er begegnet dem Klienten zuallererst von Person zu Person, nicht aber vorrangig von Therapeut zu Klient.

4. Der Therapeut empfindet eine positive bedingungslose Wertschätzung für den Klienten. Der Therapeut respektiert den Klienten als eigenständige Persönlichkeit. Je akzeptierender sich der Therapeut dem Klienten zuwendet, desto wahrscheinlicher wird dieser sich in der Beziehung zu jenem weiterentwickeln.

5. Der Therapeut entwickelt Empathie‚ d.h. ein sensibles und einfühlendes Verstehen für den Klienten. Der Therapeut empfindet die innere Welt des Klienten so nach, als ob es die eigene wäre, ohne die Qualität des ‚als ob’ zu verlieren.

6. Der Therapeut teilt seine echten Emotionen, seine bedingungslose Wertschätzung und seine sensible Empathie dem Klienten mit. Wenn der Klient diese Eigenschaften am Therapeuten nicht wahrnimmt, dann existieren sie für den Klienten in der Beziehung auch nicht.

 

Aus diesen Bedingungen, folgende drei Einstellungen oder Grundhaltungen des Therapeuten, die von entscheidender Bedeutung für den Verlauf und die Entwicklung eine Therapie sind.

- Wertschätzendes Verhalten (auch oft bedingungsloses oder bedingungsfreies Akzeptieren genannt);

- Einfühlendes Verständnis (Empathie);

- Echtheit (Kongruenz oder auch Authentizität).

Wertschätzendes Verhalten

Es fördert den therapeutischen Prozess, wenn der Therapeut seinem Klienten als einer Person mit vielen konstruktiven Möglichkeiten tiefe und echte Zuwendung entgegenbringt und sie auch äußert. Wenn diese Zuwendung frei ist von Beurteilungen und Bewertungen, dann verdient sie die Bezeichnung bedingungsfreies Akzeptieren, weil der Therapeut den Klient vollkommen und nicht nur unter bestimmten Bedingungen akzeptiert. Er begegnet ihm mit einer warmen, entgegenkommenden, nicht besitzergreifenden Wertschätzung ohne Einschränkungen und Urteile.

Wie wir ja heute aus der Neurobiologie wissen ist es zwischenmenschliche Beziehung ein Grundedürfnis, das zur Natur des Menschen gehört. Eine bedingungslose positive Wertschätzung des Klienten kann verschiedene konkrete Dialogformen und Interaktionen annehmen. So gehören das unbedingte Annehmen des vom Gegenüber verbal Ausgedrückten dazu und natürlich das Ermutigen des Gegenübers, es überhaupt irgendwie auszudrücken. Eine Grundform des bedingungslosen Wertschätzens ist ebenfalls das Ausdrücken von Solidarität, Respekt und Achtung vor dem Klienten.

Wie können es etwa mit den gleichen Gefühlsqualitäten vergleichen, die Eltern gegenüber ihrem Kind fühlen, wenn sie es achten, unabhängig wie es sich im Augenblick verhalten möge.

Einfühlendes Verständnis 

Eine therapeutische Begegnung zeichnet sich vor allem durch die Fähigkeit aus, die Erlebnisse und Gefühle des Klienten und deren persönliche Bedeutung präzise und sensibel zu erfassen. Ein solches einfühlendes Verstehen heißt, in der Welt des Klienten zu Hause sein. Der Therapeut versucht, in die Haut des Klienten zu schlüpfen. Auf so tiefgreifende und umfassende Weise verstanden und akzeptiert zu werden ist ein sehr bestärkendes Erlebnis für den Klienten. Es fördert und klärt das wachsende Vertrauen, das der Klient zu seinem Selbstbild gewinnt. Es muss betont werden, dass dieses einfühlende Verstehen von Seiten des Therapeuten nicht im Dienste einer diagnostischen oder therapeutischen Interpretation steht. Die Erfahrung, von jemandem verstanden zu werden, ist in sich selbst ein machtvoller, die Entwicklung fördernder Faktor.

Es muss hier um echtes tiefgreifendes Verstehen gehen und das Gegenüber muss das Gefühl bekommen, dass ihn jemand hört. Denn nur die Person selbst kann sagen, was sie fühlt, wahrnimmt und innerlich erlebt. Es wird weder dirigiert, gelenkt oder belehrt noch interpretiert und ermahnt.

Echtheit (Kongruenz)

Echtheit ist die grundlegendste unter den Einstellungen des Therapeuten, die den positiven Verlauf einer Therapie fördern. Eine Therapie ist mit größter Wahrscheinlichkeit dann erfolgreich, wenn der Therapeut in der Beziehung zu seinem Klienten er selbst ist, ohne sich hinter einer Fassade oder Maske zu verbergen. Der theoretische Ausdruck hierfür ist Kongruenz; er besagt, dass der Therapeut sich dessen, was er erlebt oder leibhaft empfindet, deutlich gewahr wird und dass ihm diese Empfindungen verfügbar sind, so dass er diese dem Klienten mitzuteilen vermag, wenn es angemessen ist. Auf diese Weise ist Beziehung transparent. Es bedeutet, dass es sich um eine direkte, personale Begegnung mit dem Klienten handelt, eine Begegnung von Person zu Person. Es bedeutet, dass der Therapeut er selbst ist, Empfindungen von sich mitteilt, aber kein Urteil über seinen Klienten abgibt. Es ist eine echte personale Beziehung zwischen zwei unvollkommenen Menschen auf Augenhöhe.

Offenheit, offenes Wahrnehmen im Sinne von nicht unbedingt einer Meinung sein, ist auch ein wesentlicher Aspekt der dieser Grundannahme. Dieses Offen-Sein schließt auch Echtheit in dem Sinn ein, dass der Therapeut nicht nur als Fachperson in Erscheinung tritt, sondern auch und besonders als Personen, die sich dem Klient in der Begegnung zu erkennen gibt.

Mangelnde Übereinstimmung von Fühlen und Verhalten des Therapeuten, stellt beispielsweise eine Fassade dar und ist nicht kongruent. Dieses unechte, nicht kongruente Verhalten beeinträchtigt das persönliche Lernen und die Selbstentwicklung sowie die seelischen Funktionen des Klienten. Das Echtsein darf das Gegenüber nicht beeinträchtigen. Ausgedrückte negative und sogleich aber authentisch empfundene Gefühle und Gedanken des Therapeuten können demnach zwar echt sein, das Gegenüber aber zutiefst belasten. Ein missverstandenes Echtsein kann das Gegenüber verletzen.  Echtsein kann daher auch nur im Zusammenspiel mit wertschätzendem Verhalten und einfühlendem Verständnis stattfinden.

 

http://www.oliverjung.net